Ich bin Trauerrednerin


Es ist März. Es ist Frauentag. Und während ich einem Podium toller Frauen lausche und dem Gesagten auf der Bühne mit Neugier und Spannung folge, taucht sie plötzlich und unangekündigt auf. Die Idee. In einem, durch den stimmesenkenden, fast unhörbaren, Abschluss eines Nebensatzes, war sie versteckt und kam doch kraftvoll und ganz klar bei mir an:

„Ich bin Trauerrednerin!“

Trauerrednerin, sage ich 3x zu mir selbst. Was für eine gute Idee, denke ich. Was für eine schöne und würdevolle Aufgabe muss es sein, für Menschen die in Trauer sind ein paar wohltuende Worte zu finden und diese sprechen zu dürfen?

Ich vereinbare mit mir ‚Jenny, wenn sich die Idee morgen, nachdem du eine Nacht geschlafen hast, noch immer so gut anfühlt, dann, erst dann, erkundigst du dich nach den Voraussetzungen und Bedingungen eine Trauerrednerin zu werden und/oder zu sein.‘

Abgemacht!

Nachts werde ich wach. Der Gedanke, eine Rede zu schreiben und Worte zu finden, für jene die in Liebe Abschied nehmen wollen, bewegt mich.

Gleich am nächsten Morgen surfe ich wild entschlossen durchs Internet und suche nach Informationen.

Trauerreden. Traureden. Freie Rede. IHK zertifiziert. Oder auch nicht. Frei. Persönlich. Individuell. Würde. Leben. Tod. Ziemlich viel Zeugs kann man lesen und sich anschauen im Universum des Sterbens.

Interessant. Überraschend. Unübersichtlich.

Man kann viel Geld ausgeben, um das Reden zu lernen, denke ich und man kann auch gut dafür bezahlt werden, das Reden zu übernehmen, versprechen einige Ausbildungsanbieter:innen. Nun meine Miete mit der Trauerrede zu verdienen, ist nicht meine Motivation.

Ich will lernen würdevoll und angemessen Worte zu finden, um an einen geliebten Menschen zu erinnern.

Ein paar Monate später reise ich mit meiner Freundin nach Köln. Sie besucht Orte Ihres Lebens und ich begebe mich in eine Ausbildung zur Trauerrednerin.

Auf das Leben“ steht an der Tür und auch auf den Unterlagen in meinem Gepäck.

Eine Trauerrednerinausbildung deren Finanzierung mir, zugegeben, nicht ganz leicht gefallen ist, sich aber auf jeden Fall lohnt.

Ich lerne die Geschäftsführer:in Martin und Verena, kennen. Beide haben 2021 das Unternehmen „aufdasleben“ gegründet. Beide sind Trau- und Trauerredner:in und beide führen die Ausbildung zur freien Trauerredner:in an diesem Wochenende durch. Ihre Vision und ihre Haltung zum Thema Abschied faszinieren mich. Ich fühle mich wohl mit dem Gedanken, dass es Menschen gibt, die beim Abschied vor allem den wohlwollenden Blick auf das Schöne im Leben richten. Auch fühle ich mich angesprochen von ihrer Art und Weise respektvoll, behutsam und würdevoll mit Vielfalt umzugehen.

Die Offenheit und die Authentizität mit der Martin und Verena mir begegnen, machen es mir leicht. Ich habe mich richtig entschieden. Hier bin ich richtig. Eine gute Entscheidung.

Ich genieße die Zeit. Tauche ein in die Welt des individuellen und persönlichen Abschieds, schreibe und halte meine erste Trauerrede [für die mir die Profis ein gutes Feedback geben :-)] und verbringe zwei gute Tage in Köln.

Sonntagabend halte ich ein Zertifikat in den Händen und zeige es stolz meiner Freundin, bevor wir gemeinsam das Wochenende in der Hotelsauna bei Schokoladenkuchen und Piña Colada ausklingen lassen.

Ich bin Trauerrednerin!

Ganz ernsthaft. Ganz ernstgemeint.

Das Leben ist schön! Auf das Leben!

Festival Drushba

Kommt! Staunt! Unterstützt!

Spenden könnt ihr hier: https://www.gofundme.com/f/krisenhilfe-fr-uschgorod

Infos: https://www.instagram.com/konvoi_drushba/

Neue Woche? Neues Glück!

Die Testungen gehen weiter und ich wünsche uns allen, dass wir ganz bald gemeinsam die Leichtigkeit der Freude in der NachDerPandemieZeit empfinden und erleben.

Passen wir weiter gut aufeinander auf und bleiben wir zuversichtlich.

#ImpfenSchuetzt

Geboren 1927

Ich bin ergriffen. Mit wunderschönen Blumen steht meine Nachbarin, 94 Jahre alt, um 18 Uhr vor meiner Tür und bedankt sich bei mir.

Dafür, dass ich ihr heute 2 kleine Beutel in ihre Wohnung in das 2. OG, getragen habe. 94! Unglaublich. Sie sagt, sie ist extra und selbstverständlich noch schnell zum Blumenladen (wo gibt es eigentlich einen Blumenladen in der Berliner Vorstadt? Es gibt keinen!) gegangen, um die Blumen zu besorgen. 94 Jahre alt! Eine von 12 Geschwistern. ❤️ Ihre Mama ist 1897 in Litauen geboren.

Meine Nachbarin erzählt in meinem Flur aus Ihrem Leben, schaut sich um und ich empfinde Ehrfurcht vor diesem langen Leben.

Es geht, denke ich. Es geht, das füreinander da sein, ein Leben lang, gerade auch in schweren Zeiten.

„Kommen Sie wieder gut nach oben“, sage ich zum Abschied. Sie antwortet: „Runter habe ich es doch auch geschafft.“

Ich bin dankbar für diese Momente, in denen Zeit keine Rolle spielt. Bleiben Sie gesund, denke ich.

94 Jahre – meine Nachbarin, Frau C. hat mein Herz berührt.

Wenn niemand hilft, wird es bitterkalt

Kürzlich erlebte ich, wie es sich anfühlt: Wenn niemand hilft.

Autos und Radfahrer*innen vor mir und aus entgegengesetzter Richtung umschiffen, knapp und mit normaler Geschwindigkeit etwas, dass auf der Straße liegt.

Niemand! Wirklich niemand hält an.

Mein Kopf will nicht glauben, was meine Augen langsam entdecken. Ich kann einfach nicht denken, dass es kein großer Ast ist oder etwas anderes Unbelebtes.   Mein Kopf will es nicht denken, aber meine Augen sehen ein Rennrad und ein Mensch, beide liegen mitten auf der Straße. Der Mensch macht keine Bewegung, die nach Aufstehen aussieht.

„Halte an!“ sage ich fassungslos und ohne zu zögern steige ich eilig aus dem Auto. Rasch ziehe ich die Mund-Nasen-Maske an und denke: Wie war das? Beatmung? Seitenlage, stabile? Corona – denk an den Abstand!

Es vergehen lange Minuten, bis jemand in der Notrufzentrale abhebt.

Es vergehen noch einmal mehr als 35 lange Minuten, sehr viel Zeit, bis der Rettungswagen vor Ort eintrifft.

In der Zwischenzeit erfrage ich den Namen des Verletzten und erfahre mehr zum Unfallhergang. Der Mann hat Schmerzen und macht sich liebevoll Sorgen, um die Sorgen seiner Frau, wenn Sie vom Unfall erfährt. Ich halte seine Hand, mit Decken und vielen Worten über die wärmende Sommersonne Südfrankreichs und heißen Glühwein, versuchen wir das gemeinsame Frieren in der Kälte zurückzudrängen. Denn mittlerweile ist es bitterkalt.

Ich schreibe meinen Namen und meine Nummer auf einen Zettel und wünsche dem Verletzten viel Kraft. Er hat keine Wahl, er muss mir vertrauen, dass ich keine falsche Nummer notiert habe.
Ich lade das Rad in mein Auto, steige ein und dann habe ich schrecklich weiche Knie.

Es ist bitterkalt, denke ich. Nicht nur weil der November kalte Temperaturen im Gepäck hat, sondern weil so viele Menschen nicht anhalten, wenn jemand verletzt und hilflos auf der Straße liegt.
Es beschämt mich und macht mich unendlich wütend.

Und während ich meine Fahrt fortsetze, denke ich: Hoffentlich macht sich der Verletzte nicht Sorgen, darum, dass er sein Rad nie wiedersieht. Ich bin schließlich eine Fremde und er hat nichts, außer einem Vornamen und eine Nummer auf einem kleinen Zettel.

Und wenn es so vielen Menschen schon nicht gelingt, denke ich, mitfühlend einem offensichtlich verletzten Menschen zu helfen, dann werden meine Zweifel schmerzlich lauter: Solidarität und Mitgefühl sind offenbar schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr – sondern mehr und mehr schwindende Werte in unserer Gesellschaft. Wie sind wir da nur hingekommen? Wie kommen wir da wieder raus?


Update am 05.12.2020: Wie ist es dem tapferen Rennradfahrer Heiko Mehnert ergangen? Lest: „Nicht ins Becken springen.“