Emotionen der Zeit

Eine kleine Brise eines unverwechselbaren Parfums, drei Töne einer Melodie und/oder der Name eines Computerspiels von 1991. Erinnerungen können kraftvoll in Windeseile zur ganz persönlichen Zeitreise werden.

Und mit jedem Atemzug steige ich tiefer hinein in die Emotionen der Zeit.

Erstaunlich, denke ich, als ich gestern Nacht mit dem Rad durch die Stadt fahre und eine Gruppe Menschen mir entgegen kommt – schwupp ist er da – der aufdringliche Duft der Vergangenheit. Schmeckt zuckersüß und manchmal schmerzlich bitter.

So, wie das Leben eben, denke ich.

Impfen – zwischen Herzklopfen, Zweifeln und jeder Menge Dankbarkeit

Es ist früh am Morgen.
Ich checke noch einmal alle Unterlagen. Habe ich auch wirklich alles, was ich für die Impfung gegen COVID-19 brauche? Ist alles gestempelt, alles ausgefüllt, alles unterschrieben? Fehlt noch etwas? Wie lange es wohl dauert, bis ich vor Ort bin? Wird viel Verkehr sein? Nehme ich das Auto oder das Rad? Mit all diesen Fragen wache ich auf und das seit dem Tag, als ich meinen Termin zum Impfen bekommen habe.
Endlich einen Termin, dachte ich, als ich die Terminbestätigung per Mail bekomme. Der hässliche Impfneid fraß sich bei mir Tag für Tag tiefer in meine Zuversicht und die mit Mühe aufrechterhaltenen Solidarität.


Ich bin sehr froh, dass dem Kollegen Neid heute die Grundlage genommen wird.
Jetzt sitze ich und warte mit vielen anderen in einer großen Halle. Ich sitze auf Platz 6 für Impfkabine 3.


Die Schleuse mit „Guten Morgen, Ihr Name und die Papiere bitte!“ habe ich schon hinter mir. Alle Dokumente sind richtig, unterschrieben und alles was ich brauche habe ich dabei.
Die Halle ist riesig. Viele Menschen warten in Reihen neben und mit mir. Gemeinsam teilen wir das Warten. Ob wir auch die Hoffnung teilen? Ob wir auch die Freude teilen? Oder die Zweifel? Ob es jemanden gerade gefühlsmäßig ähnlich geht, wie mir?
Ich bin, seit ich vor der Halle stand, ergriffen. Tränen fließen mir immer wieder in die Augen und ich atme immer wieder tief durch.
(Während ich diese Zeilen schreibe, kommt eine Frau vorbei und sagt, dass es in unserer Reihe nicht vorwärts geht, weil es technische Probleme gibt. Technische Schwierigkeiten in der Impfkabine).
Technische Probleme? Vielleicht funktionieren die Mikrochips nicht, die mir jetzt gleich unter die Haut gesetzt werden.

Dieser Gedanke lässt mich laut Lachen.
Die Person vor mir auf dem Stuhl dreht sich fragend zu mir um.
Ich sage: „Pardon!“


Und dann, alle Personen vor mir stehen synchron auf. Ich schnappe mein Klemmbrett mit den Unterlagen und stehe selbstverständlich auch auf. Ich muss einen Stuhl nach vorn aufrücken.


Der Stuhl von Platz 5 ist warm. Das ist etwas, dass ich weniger gernhabe. Warme Sitzflächen schaffen eine Verbindung zu Menschen, denke ich, die man sich nicht aussucht. Aber gut, denke ich, es geht hier um so viel mehr. Ein warmer Stuhl ist sehr aushaltbar, verglichen mit dem, um was es hier am Ende der Sitzreihe geht.


Verbindung, das Wort treibt meine Gedanken weit in die Welt hinaus. Wir sind alle verbunden, ob wir wollen oder nicht. Diese Pandemie zeigt es uns in aller Deutlichkeit. Wir erkannten z.Bsp. schmerzlich, dass wir auf die Herstellung von Masken aus Asien angewiesen sind.
Einige Menschen können Impfstoffe herstellen, ich kann es nicht – ich bin abhängig von der Kompetenz und der Verantwortungsübernahme tausender Menschen. Ich bin abhängig davon, dass Menschen weltweit kluge Entscheidungen treffen und all das im Rahmen maximaler Komplexität, unter Druck und in eigenen Zwängen und Abhängigkeiten.


Platz 5 von 6.
In den Reihen links und rechts neben mir, rücken die Menschen deutlicher schneller vorwärts. Mich trennen noch immer 5 Plätze von der Impfung.
Ich kann beobachten, dass das Murmeln der Menschen immer dann zunimmt, wenn sie wieder einen Platz vorrücken.
Ist das die Aufregung? Ist es vielleicht bei allen anderen auch so, dass mit jedem weiteren Vorrücken die Aufregung zunimmt? Oder vielleicht auch der Zweifel?


Ich schaue durch den Gang vor mir an der Kabine vorbei. Im Raum hinter den Kabinen, sitzen die Menschen, die schon geimpft sind. Geht es ihnen gut, frage ich mich? Was sie wohl fühlen und denken? Die haben es schon hinter sich, denke ich.
Sie sind ein kleines Stückchen mehr an der Hoffnung nicht am Virus zu erkranken oder wenigstens nicht aus diesem Grund eine Intensivstation von innen kennen zu lernen zu müssen.

Der Mann, der die Leute zum Impfen in Kabine 4 herein bittet macht Witze: „Kabine 3 bitte impfen, Kabine 3!“

Lustig finde ich das. Ich sitze immer noch vor Kabine 3 in der Reihe 5 von 6.
Es fühlt sich an, wie „Glückwunsch wieder an der falschen Kasse angestellt, Jenny!“
Ich muss wieder lachen. Murphys Gesetz. Unermüdlich.

Das Lachen entspannt mich. Die Tränen, denke ich, sie sind weg.
Jetzt klopft mein Herz, näher am Impfen, war ich nie.
Und dann: Willkommen Frau Zweifel. Ist es eigentlich eine gute Entscheidung, sich impfen zu lassen? Was, wenn es schief geht? Impfreaktion? Dauerhaft Schäden?
Unglaublich, was mir in ein paar Minuten so alles an Gefühlen und Gedanken begegnet.

Platz 2.
Selbstverständlich ist auch dieser Stuhl vorgewärmt.
Unter das Murmeln der Menschen mischen sich jetzt einzelne Worte aus der Impfkabine 4. Die Stimmung darin ist gut.

Was für eine Leistung denke ich.
Ketten- oder Laufbandimpfen ist sicher keine leichte Aufgabe, aber eine mit echtem gesellschaftlichem Wert. Und sehr exklusiv. Das Impfen ist sehr exklusiv. Das Impfen zu diesem Zeitpunkt ist exklusiv.

Wahnsinn, gleich bin ich dran.

Sitzplatz 1.
Puh. Mein Herz klopft und die Tränen sind zurück.
Und mit den Tränen, kommen auch Gedanken an die vielen Millionen Menschen, die nicht geimpft sind oder jemals geimpft werden, auch wenn sie wollten und es so sehr dringend bräuchten. Ich denke an die unzähligen Menschen, die niemals auch nur in die Nähe eines Impfstoffes kommen werden, ganz gleich welcher Firma.

Ich denke an diese unerträgliche Ungerechtigkeit, sie macht mich wütend und ohnmächtig.

Geimpft. Schnell, unkompliziert.
Noch 15 Minuten hinter den Kabinen in der Wartehalle warten und dann ist der erste von zwei Schritten gemacht. Schritte hin zu mehr Freiheit. Schritte hin zu einer Zeit, in der meine Angst hoffentlich bald wieder weniger machtvoll in meinen Gedanken herumschwirrt, weil durch mein Verhalten Menschen verheerend angesteckt werden können oder ich selbst schwer erkranken kann.


Schlussendlich bin ich erleichtert. Ich bin sehr gerührt und empfinde eine große Dankbarkeit. So fühlt sich Demut an, denke ich. Was bin ich privilegiert. Was habe ich für ein irre Glück in diesem Land geboren worden zu sein und leben zu dürfen.

Meine Zeit als Vorstand endet – vielen Dank für Alles!

Heute verlasse ich die Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße nach aufregenden und lehrreichen 6 Monaten, denn meine Zeit als Vorstand endet.
Ich bedanke mich für die Anregungen, für die Offenheit, die mir entgegengebracht wurde und für die Gedanken und wichtigen Erinnerungen, die mit mir geteilt wurden.
Insbesondere danke ich der Stiftungsratsvorsitzenden Dr.in Birgit-Katharine Seemann und den Mitgliedern des Stiftungsrates für das entgegengebrachte Vertrauen und die konstruktive Zusammenarbeit.
Danke auch an Claus Ladner (Fördergemeinschaft), Bernd Richter (Häftlingsinitiative) und Carla Ottmann (Projektwerkstatt) für die zahlreichen Treffen und den wertschätzenden Austausch. Herzlichen Dank an Uwe Neumärker (Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas) für die fachlichen Hinweise und die wertvollen Ratschläge.

Vielen Dank auch für die Zusammenarbeit vor Ort in der Gedenkstätte.

Liebe Amélie zu Eulenburg, vielen Dank für deine Loyalität, dein Vertrauen und den unermüdlichen Einsatz für die Sache!

Maria Schultz, dir, deinem Team und allen Aktiven von Herzen einen guten Start und immer viel Schaffenskraft im Sinne der Stiftung.

Die Gedenkstätte ist ein ganz besonderer Ort mitten im schönen Potsdam. Sie hat viel Potenzial und ich hoffe es gibt stets viele engagierte Menschen, die weiterhin wertschätzend und gemeinsam an einem Strang ziehen.
Denn Erinnern, Forschen und Bilden waren und sind wichtig – gestern, heute und morgen und brauchen fortlaufend starke Bündnisse.

In diesem Sinne, bleiben Sie Verbündete für die Sache.

Jenny Pöller

QUARANTÄNE I

Anruf – Herzklopfen – Tränen
Information – Rationalität – Verständnis
Worte – Durchatmen – Zuversicht
Stille – Ungewissheit – Angst
Zeit – Routine – Bewegung
Unaufhaltsam – Immer – Weiter

Auf leisen Sohlen

Er kommt auf leisen Sohlen und nimmt dich für immer fort.
Er bringt Schwere und hinterlässt ein Loch voller Leere, dort.

Ein Kloß steckt mir im Halse, mein Herz wiegt tausend schwer.

Nun endet deine Reise, umringt vom Tränenmeer.

Fortan erinnere ich mich leise, denn dein Platz bleibt künftig leer.

Der Tod kommt auf leisen Sohlen und nimmt dich für immer fort.
Dein Tod bringt mir die Schwere und
hinterlässt ein Loch voller Leere, dort.

„Weil es uns gibt“

„Weil es uns gibt“ ❤ Das Autonome Frauenzentrum Potsdam hat ein eigenes Lied. Pünktlich zum #Frauentag -> die großartige Musikerin Beate Wein hat meinen Worten* eine Stimme gegeben und eine Melodie komponiert. 🙃 Ich flippe ein bisschen aus und bin sehr berührt! Lieben Dank @Beate Wein, lieben Dank an all die tollen Frauen des Autonomes Frauenzentrum Potsdam e.V.


Hört rein, lest und singt mit: https://frauenzentrum-potsdam.de/das-autonome-frauenzentrum-hat-ein-eigenes-lied

*geschrieben aus Anlass des 30. Geburtstags im Jahr 2020 des Autonomen Frauenzentrums Potsdam e.V.