Laudatio Integrationspreis des Landes Brandenburg 2019

Sehr geehrte Ministerin Nonnemacher, sehr geehrte Bürgermeisterin Tzschoppe, sehr geehrte Frau Dr. Lemmermeier, sehr geehrte Damen und Herren.

Als Vorstandsfrau des Autonomen Frauenzentrums Potsdam, ist es mir eine Ehre, zu diesem besonderen Anlass die Laudatio für das MaMis Projekt übernehmen zu dürfen, dass sich u.a im Frauenzentrum in Potsdam Zuhause fühlt.

Als Mutter von zwei Kindern, freue ich mich ganz besonders, dass durch die Verleihung des Integrationspreises des Landes Brandenburg heute auch das außerordentliche Wirken von Müttern (und auch einigen Vätern) gewürdigt und ausgezeichnet wird.

MaMis en Movimiento e.V. (steht für Mütter in Bewegung) 

Mehr dazu gleich.

Ich möchte Sie kurz auf eine Gedankenreise mitnehmen: Wir alle wissen, das Leben hat viele Facetten und wir wissen, die Muttersprache hat einen bedeutenden Einfluss auf die Art und Weise, wie wir die Welt sehen und verstehen. Mir wurde beides sehr deutlich, in einem Gespräch mit dem deutschen Soziologen und Autor des Buches „Das Integrationsparadox“ Aladin El Mafaalani. Er bat mich mir Folgendes vorzustellen:

Ich muss morgen meine Heimat verlassen, auf Dauer, vielleicht für immer. Die Dauer ist nie ganz klar – unterschiedliche Faktoren spielen eine Rolle – so ist das Leben. Es ist nicht planbar, nicht vorhersehbar und alles andere als zuverlässig kontrollierbar.

Ich verlasse also mein Land, in dem die Mehrheit meine Sprache spricht, meine Freunde, meine Verwandten, meine Familie. Ich verlasse die Ankerpunkte meiner Identität.

Was bleibt um nicht ganz und gar zu verschwinden, in der Fremde?  fragte mich Aladin in diesem Gespräch.

Ich wusste nicht, worauf er hinauswollte. Bis er sagte:

Als Migrantin konservierst du all das, was du bei dir trägst: Deine Erinnerungen, deine Traditionen, die kulturelle Eigenheiten, deine Religion, dein Nationalbewusstsein. JedeR konserviert etwas anderes bei der Migration – dass was jeweils wichtig ist, um keine Identitätskrise in der Fremde zu erfahren.

Das EIGENE wird in der Fremde wichtig und wichtiger.

Wie lange an dieser Konservierung festgehalten wird ist individuell und maßgeblich davon abhängig welche Strukturen und Prozessen und auch welche Teilhabemöglichkeiten im neuen Land, in der anderen Gesellschaft vorhanden sind. Dieser Mechanismus von Konservation ist überall auf der Welt erkennbar – sagt El Mafaalani – und der Mechanismus ist nachvollziehbar, wenn man versucht ihn zu verstehen.

Ich dachte darüber nach: Wie würde es mir mit meinen Kindern gehen – wenn sie nicht in meinem Heimatland geboren wären oder aufwachsen könnten?

Ich höre oft – „Kinder von Migrantinnen leben in zwei Welten.“ El Mafaalani nennt es zwei Sphären.

Eine innere Sphäre, dem Zuhause, mit Traditionalismus und engen Beziehungen zu den Eltern und einer äußeren Sphäre – die Kinder spätestens in den Bildungsinstitutionen kennen und erleben werden. In beiden Sphären erleben die Menschen unterschiedliche Formen eines „richtigen“ eines „echten“ Lebens. Darin sind Regeln, soziale Symbole, unterschiedliche Codierungen und Beziehungsgeflechte festgelegt. Beide, innere und äußere Sphäre weisen unterschiedliche Sprachen und kulturelle Prägungen auf. Kinder meistern die Ambivalenz oft spielend – sie sind aber in einem Spannungsfeld mit den unterschiedlichen Erwartungen konfrontiert. Eltern erwarten – dass ihre Kinder sich hochmotiviert integrieren und gleichzeitig den alten Traditionen loyal gegenüber treu bleiben. Im Außen werden Migrantinnen gefragt. „Wo kommst du her, wie ist es bei euch?“ Und müssen sich sagen lassen: „Bei uns wird das aber so oder so gemacht.“ Zwei widersprüchliche Erwartungspaare der Dualität – in der Welt der Kinder – und in der Welt der Erwachsenen.

Überspitzt könnte man sagen: Wenn ich erfolgreich integriert sein will, kann ich nicht loyal gegenüber der Tradition meiner Eltern sein. Wenn ich loyal bin, kann ich in Deutschland nicht erfolgreich sein.

Die Balance muss gewahrt sein – es ist ein hochgradig komplexer Prozess und er verläuft meist nicht ohne Konflikte.

Und Aladin El Mafaalani bat mich weiter:

Stell dir vor: Du musst morgen nach Japan emigrieren: Du hast einen neuen Job – oder musst flüchten, um dein Leben zu retten.

Du hast dann genau 2 Möglichkeiten:

Er sagte:

VARIANTE 1

Du möchtest, dass deine Kinder richtige Japaner werden, sich erfolgreich einbringen, die Sprache perfekt und schnell lernen und hauptsächlich, ja nahezu ausschließlich japanisch sprechen – die neuen Traditionen übernehmen, denken wie Japaner, glauben wie Japaner. Kurz: Deine Kinder sollen „bessere“ Japaner werden.

Da du selbst gut ankommen und integriert sein möchtest, sprichst du mit deinen Kindern zuhause nur noch japanisch – so gut es eben geht.

VARIANTE 2

Du möchtest, dass deine Kinder erfolgreich werden, aber gleichzeitig so viel wie möglich mit dir gemeinsam haben. Deine Kinder sollen so gut es geht, deine Muttersprache sprechen und verstehen, deine Traditionen und deine Kultur kennen und gleichzeitig das komplexe Spannungsfeld der Sphären zur eigenen Potenzialentfaltung nutzen, statt zum Scheitern.


Du hast die Wahl: Variante 1 oder Variante 2?

Ich frage Sie, sehr geehrte Damen und Herren, welche Variante würden Sie für sich und Ihre Kinder wählen?

Ich würde Variante 2 wählen. Und ich bin davon überzeugt, wenn Menschen, Variante 1 wählen, weil sie sich etwas völlig anderes für ihre Kinder wünschen, als für sich selbst – dann haben wir ein echtes Problem.

Elternschaft heißt weitgehende Übereinstimmung- ansonsten macht Elternschaft keinen Sinn – so das Fazit von Aladin El Mafaalani.

Und was mich betrifft – hat er Recht.

Wenn ich morgen nach Japan müsste – würde ich mir wünschen, es gäbe die MaMis auch dort, denn sie sind ein Identitätsanker in der Fremde

für die spanisch—sprechende Community in Potsdam und darüber hinaus.

Sie bauen nachhaltige Brücken zwischen unterschiedlichen Nationen und Generationen.


Dr. Lucia Santamaria hat den Grundstein 2015 gelegt.

Liebe Lucia, vielen Dank für deinen unermüdlichen Einsatz, deine Kreativität und deine starken Wurzeln. Bleib dir treu, du hast vieles zu geben und du bist ein wichtiges Vorbild – dafür, dass es gelingen kann das komplexe Spannungsfeld positiv zu bespielen.

Es ist Dr. Santamaria zu verdanken, dass die Vision des Muttervereins mit Sitz in Berlin, seit Jahren in Potsdam wächst und gedeiht.

Die Vision:

„ist eine Gesellschaft, in der verschiedene Kulturen wertgeschätzt und respektiert werden, ohne dass dabei Unterschiede gemacht werden.“

Dafür organisieren MaMis muttersprachliches Singen mit Kindern, einen Frauentreff, Krabbelgruppen, einen Sportkurs und neu ein schulbegleitender muttersprachlicher Unterricht für spanisch-sprechende Schüler*innen Potsdamer Schulen. 

Es heißt, für ein gutes Leben sind 3 Dinge unerlässlich.

Starke Wurzeln, Kräftige Flügel und verlässige Bindungen

MaMis Potsdam bietet diese Dinge aktuell mehr als 70 Familien.

MaMis ist ein Projekt das Kindern und Erwachsenen gleichermaßen ermöglicht die eigenen Wurzeln zu sehen, zu hören und was besonders wichtig ist, wohlwollend zu stärken.

Das Projekt eröffnet einen vertrauensvollen Raum, um die eigenen Flügel wachsen und ausstrecken zu lernen. Es entsteht die große Chance, die Welt aus beiden, einer zweisprachigen Perspektive sehen und verstehen zu lernen.

Liebe MaMis Potsdam,

auf dem Weg zur Erreichung eurer Vision, habt Ihr heute eine wichtige Etappe verdient erreicht.

Sehr geehrte Damen und Herren, Der Integrationspreis des Landes Brandenburg 2019, geht an MaMis Potsdam, stellvertretend für viele Aktive, heute hier in Cottbus: 

Dr. Lucía Santamaría – aus Potsdam

Annie Malcahy – aus Berlin

Javier Romero – aus Potsdam

– herzlichen Glückwunsch!

Bild: Lucia Santamaria

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